Leben mit Silber
Eine Klasse für sich: Augsburger Silber
Eine wunderbare Kanne halte ich da in Händen, auf dem Boden die Marken: Das Meisterzeichen EB, ein Tremulierstrich und - spätestens hier fangen die Herzen vieler Silberliebhaber und Sammler an, höher zu schlagen - unverkennbar der Pyr, die Zirbelnuss, das Stadtzeichen und Beschauzeichen für Silber der Stadt Augsburg. Augsburger Silberschmiedearbeiten schmücken alle wichtigen Museen dieser Welt und Sammler wie Kunstliebhaber zahlen Höchstpreise auf Kunstmessen und Auktionen. Warum ist das so? Warum hat Augsburger Silber einen so hohen Stellenwert, ist so berühmt, so begehrt?
Dies hinreichend zu erklärend, würde ein Buch füllen. So kann dieser Silbersuite-Artikel hier der großen Geschichte Augsburgs und der damit verbundenen, nicht minder turbulenten Geschichte des Goldschmiedehandwerkes dieser Stadt, nicht gerecht werden. Eine "Silbergeschichte" die im 11. Jahrhundert beginnt und bis heute fortdauert. Ich versuche es trotzdem: Kurz, gerafft, unvollständig, mit ein paar Stichpunkten, die mir wichtig für das Verständnis und die Bewertung des Augsburger Silbers und nicht zuletzt auch der Silberobjekte, die ich hier anbiete, erscheinen. Für diejenigen, die mehr darüber erfahren möchten, empfehle ich gerne zum Schluss großen und kleinen Lesestoff.
Augsburg galt über drei Jahrhunderte als die bedeutendste Goldschmiedestadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und weit über dessen Grenzen hinaus. Hier wurden Kunstwerke in herausragender Qualität in großem Umfang geschaffen. Die Voraussetzung dafür waren in der einzigartigen Verflechtung von Politik und Wirtschaft, sowie in der kirchlichen Ordnung - Stichwort konfessionelle Gleichberechtigung - der Reichsstadt zu suchen. Eine spannende Geschichte.
Augsburg wird 1276 Reichsstadt. Das Stadtrecht regelt die Rechte des Königs und der Bischöfe, aber auch die Privilegien der Bürger, der Handwerker, des Rates und der Stadtämter. Die Mitglieder des Rates, Patrizier und reiche Kaufleute "erkaufen" sich durch finanzielle Abhängigkeiten der Bischöfe, die sie reichlich mit Krediten versorgen, politische Zugeständnisse und übernehmen bald die Führung . Der sogenannte 2. Stand, die Kaufleute und Fernhändler bekommt zunehmend Einfluss, da sie den Patriziern wirtschaftlich weit überlegen sind. Die wirtschaftliche Macht wird zum politischen Gewicht. Sie beschert der Reichstadt Augsburg im 16. Jahrhundert weltweite Verbindungen, die nicht nur, aber besonders der Goldschmiedekunst förderlich waren.
Zum Beispiel, der von den großen Augsburger Häusern in ganz Europa betriebene Großhandel mit Rohsilber (erst kam es aus den Tiroler Silberbergwerken und aus Sachsen, später aus den spanischen Kolonien), verschaffte den Augsburger Goldschmieden beste Versorgung mit dem notwendigen Edelmetall und damit einen riesigen Vorsprung vor anderen Städten. Denn es ermöglichte Aufträge und Lieferungen in einer Größenordnung, die andere gar nicht bewältigen konnten. In diesem Zusammenhang sind zwei der großen Kaufmannsfamilien mit ihren europaweiten Handelsniederlassungen zu nennen - die Fugger und die Welser. Hervorzuheben ist Jakob Fugger, der die Geschichte und Geschicke der Stadt maßgeblich beeinflusste.
Neben den Handelsagenturen der reichen Kaufleute, kam für das Goldschmiedehandwerk zunehmend Silberhändlern große Bedeutung zu. Die meisten davon waren selber Silberschmiede, die zugunsten des neuen, lukrativen Handels ihre Werkstätten aufgegeben hatten. Sie sorgten für die Verbindung zu den großen weltlichen und kirchlichen Auftraggebern - die einfachen Augsburger Goldschmiede konnten schwerlich mit den Fürstenhäusern Europas direkt in Kontakt treten - trafen auf den großen Messen in Frankfurt oder Leipzig Abgesandte potenzieller Kunden, beschafften Aufträge, führten die Verhandlungen, setzten Verträge auf und übergaben die Aufträge an ausgewählte Betriebe. Sie konnten, dank ihres Fachwissens die Arbeiten koordinieren und den Fortgang dieser überwachen. Sie übernahmen für die pünktliche Auslieferung die Verantwortung. Die Vergabe großer Aufträge durch Silberhändler an verschiedene Silberschmiedewerkstätten, erklärt auch, warum es immer wieder identische Silberobjekte, wie Leuchter oder Teller zu kaufen gibt, die eindeutig, ersichtlich durch gleiche Monogramme oder Wappen, zusammengehörig sind, dennoch verschiedene Meisterzeichen tragen. Durch die Silberhändler kam es auch dazu, dass kirchliche Aufträge, nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, ausschließlich von den jeweiligen konfessionszugehörigen Silberschmieden bearbeitet wurden. Evangelische Silberschmiede arbeiteten für Bischöfe, katholische Meister für evangelische Kirchen. Der Silberhändler wählte den richtigen Silberschmied für die Aufgabe und urteilte nach Können und nicht nach Konfession. Zu all dem kam die strenge Qualitätskontrolle für die Einhaltung des festgelegten Silberfeingehaltes von 13 Lot (812,5/1000) dazu. Sie oblag zwei gemeinsam amtierenden Geschaumeistern, die vom Rat bestimmt und unter Eid gestellt wurden. Anders als andere Städte, nahm Augsburg dies ganz genau. Entsprach ein Werk nicht der Qualität, musste es eingeschmolzen werden. Prominentes Beispiel: 1713 fertigte Johann Heinrich Mannlich aufwändig einen Silberaltar, der unter anderem den Kurfürten Johann Wilheln als Heiigen Hubertus lebensgroß dartellte. Die Kontrolle des Beschaumeisters bescheinigte einen zu niedrigen Silberfeingehalt, das Kunstwerk musste eingeschmolzen werden.
Der in zwei Jahrhunderten kontinuierlich gewachsene Ruhm der Augsburger Silbertradition erreichte im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt. In großer Vielzahl und Vielfalt kamen die Aufträge aus ganz Europa. Der preußische Hof unter Friedrich I. gehörte zu den wichtigsten Kunden, aber auch Dresden, Stuttgart und Wien, sowie das russische Zarenhaus, das über den Silberhändler Johann Gottlieb Klauke für mehrere Millionen Gulden, Silber in Augsburg bestellte. Durch die große Anzahl hoch qualifizierter Goldschmiede - im Jahr 1740 wurden 275 Goldschmiedemeister dokumentiert - hatte Augsburg geradezu eine monopolartige Stellung für Großaufträge. Aber auch die Wünsche des Bürgertums bescherten reichlich Arbeit, die dem Vorbild des Adels folgend, Silber für ihre Tafeln anfertigen ließen. Augsburger Silber war so begehrt, dass andere Städte Einfuhrverbote dafür verhängten, um die Existenz der eigenen Silberschmiede zu schützen. Natürlich fand man Wege um dies zu umgehen. Im Jahr 1825 zählte man nur noch 55 Meister, was den Höhepunkt, aber auch den schleichenden Niedergang Augsburgs als ranghöchste Goldschmiedestadt anzeigt. Eine nicht unwesentliche Rolle dafür spielt sicher auch die Tatsache, dass Augsburg 1806 mit der Erhebung Bayerns zum Königreich, seinen Status als freie Reichstadt verliert, der ihr 530 Jahre glanzvolle Zeiten und Weltbedeutung bescherte, um nun zur Provinzstadt zu werden.
Schauen wir auf den gedeckten Tisch der Silbersuite. Mit Ausnahme der Weinkanne aus Paris, sind hier Augsburger Silberstücke des 18. Jahrhunderts zu sehen. Im Mittelpunkt steht eine seltene Rokoko-Huliere von 1777, ein außergewöhnliches Silberobjekt mit so gut wie gar nicht mehr zu findenden, originalen Kristallflaschen. Sie haben eine Silbermontierung und auch die Stöpsel sind mit Silber bestückt. Der Rocaille-Griff in der Mitte endet in einer ovalen Ringhalterung für die lose, durchbrochene Schale, die für Zitronen vorgesehen ist. Zu beiden Seiten steckt je ein vergoldetes "Blatt" als Gewürzschälchen. Das Meisterzeichen IIA steht für den Meister Johann Jakob Adam (I steht in der Punze auch immer für J), dessen Arbeiten in der Schatzkammer der Residenz und im Bayrischen Nationalmuseum München, im Kreml- und Historischen Museum in Moskau, sowie in Museen in Dortmund, Berlin, Zürich, Stockholm und Salzburg zu bewundern sind.
Drei Augsburger Barockbecher stehen auf dem Tisch: Ein Schlangenhautbecher in Vermeil von 1695, ein schlichter Becher aus Weißsilber in Kombination mit Vermeil von 1700 und ein Becher von 1717, ein sogenannter Régence-Becher, benannt nach der französischen Stilepoche zur Zeit der Regentschaft Herzog Philipps von Orléans von 1715 bis 1723, der die Barockformen zierlicher, verspielter und leicht geschwungen präsentiert. Hier ist es eine ungewöhnliche Mischung aus Gravur und Bandelwerk, die den Becher verziert (nicht zu verwechseln mit dem Regency, die englische Stilepoche von ca. 1800 bis 1830). Das Besteck im originalen Lederkasten, die Löffel im Augsburger Faden, Gabel und Messer dazu mit kannelierten Griffen, sind in ihrer strengen Form und der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts bereits dem Klassizismus zuzuordnen. Sie wurden von Lukas Römer gefertigt, der ursprünglich aus Siebenbürgen stammte und Ruf und Ruhm der Silberstadt Augsburg folgte, um dort 1780 seine Meistergerechtikeit zu erhalten. Er war auf Bestecke spezialisiert, die er übrigens auch für fürstliche Großaufträge, vermittelt durch den Silberhändlers Johann Alois (alias Johann Nepomuk) Seethaler, fertigte. Diese Auftragsarbeiten erklären auch die manchmal verwirrenden doppelten "Meisterzeichen" auf den Silberobjekten. Einmal das Meisterzeichen des Silberschmiedes, LR für Lukas Römer, dazu der eingeprägte Name SEETHALER. Seethaler, selber 1796 zum Meister ernannt und als königlich-bayrischer Hofsilberarbeiter, verantwortlich für viele bedeutende Silberobjekte, benutzte für seine eigenen Werke das Meisterzeichen INS im Dreipass für Johann Nepomuk Seethaler, der ausgeschriebene Name aber zeigt an, dass er das Silber lediglich verkaufte, es ist sein Händlerstempel.
Der mit Weinlaub und Trauben reich verzierte Schmucklöffel in der Größe eines Suppenlöffels ( rechts im großen Bild ) wurde 1779 von Carl Samuel Bettkober gefertigt, dessen Arbeiten, darunter 100 Satzteller und Terrinen für König Max I., in der Silberkammer des Münchener Residenzmuseums zu sehen sind.
Die Schokoladenkanne von 1769 mit dem seitlichen Ebenholzgriff und dem Schiebeknauf, über der Öffnung im Deckel, in die früher der Quirl zum stetigen Aufrühren der Schokolade gesteckt wurde, ist mit seinen gedrehten Zügen ein typisches Rokokowerk. Die gerade und schlichte Form der Zuckerdose wurde 1785 von Christian II Drentwett schon in Anlehnung an den aufkommenden Klassizismus gefertigt. Christian II Drentwett stammte aus einer berühmten Silberschmiede-Dynastie, in den Verzeichnissen sind 31 Silberschmiede aus der Familie Drentwett aufgeführt. Es gab einige dieser großen Silberschmiedefamilien, deren Namen über Generationen für außergewöhnliche Arbeiten und herausragende Qualität standen: Thelott, Biller Busch, Bruglocher, Baur, Gelb, Holeisen, Mittnacht , Neuss, um nur einige zu nennen.
Ein ganz ungewöhnliches Silberobjekt für Augsburg ist der hohe Filigrankorb von Karl Bitzel aus dem Jahr 1805. In Augsburg gab es für viele Techniken und Dekore eine lange Tradition, es gab sogar den "Augsburger Stil". Filigransilber gehörte nicht unbedingt dazu. So ist dies ein recht einmaliges Stück, für das sich bis dato keine Entsprechung in der Fachliteratur findet.
1868 kam mit der Aufhebung der Zünfte und der Einführung der Gewerbefreiheit durch König Ludwig II, das Ende des alten Gold-und Silberschmiedehandwerkes, nur noch 28 Goldschmiede gab es in diesem Jahr in Augsburg. Und es war auch das Ende des berühmten Pyr, das Augsburger Beschauzeichen wurde 1868 mit dem Jahresbuchstaben D, das letzte Mal auf ein Silberobjekt gestempelt.
Keineswegs aber war es das Ende für besondere Silberobjekte, "made in" Augsburg. Auch wenn die alten Handwerksvorschriften nicht mehr galten, setzten viele Betriebe die jahrhundertalte Tradition fort und schufen Silberarbeiten, die sich an Schönheit und Qualität mit den alten Werken sehr wohl messen können. Firmen wie Schmedding, Burkhard und Wilhelm und Joseph Wagner garantierten auch nach 1868 für außergewöhnliche Silberobjekte. Einige Art Déco Arbeiten der Firma Wagner sind legendär und völlig zu Recht stehen sie gleichberechtigt mit ihren "Vorgängern" in Museen und Ausstellungen. Obwohl der "Pyr" von dem seit 1888 vorgeschrieben Reichsilberstempel Halbmond/Krone ersetzt wurde, sehen wir die Augsburger Zirbelnuss immer wieder auf Silberobjekten: Als Deckelbekrönung, als Abschluss auf Girandolen, als Verzierung auf Bechern - eine Verbeugung vor der Goldschmiedestadt Augsburg.
Was viele interessieren wird: Wie findet man den Meister zum Meisterzeichen, welche Zeit steht für welchen Pyr?
Es gibt wohl kaum eine Stadt deren Silbermarken besser und umfangreicher dokumentiert wurden, als die Augsburger Marken. Zu verdanken haben wir dies vielen Historikern, die dieses Gebiet Jahrzehnte erforschten, aber allen voran Helmut Seling, der in Insiderkreisen gerne liebevoll - "Der Augsburger Silberpapst" genannt wird. In seinem großartigen, umfangreichen Standardwerk "Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529 -1868", brachte er all sein Wissen und seine jahrelangen Forschungsarbeiten ein. Die ersten drei Bände erscheinen 1980: Band I Geschichte und Werke, Band II Bildtafeln und Band III - unerlässliches Nachschlagewerk für jeden Händler, Auktionator und Sammler - Meister, Marken, Beschauzeichen. Band III wurde 1994 nach neuen Erkenntnissen durch ein "Supplement" erweitert und noch einmal 2007 durch einen IV. Band vervollständigt. Vollständig aber nennt Helmut Seling selbst in seinem Vorwort, die Aufstellung nicht. Vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zur Auflösung der Zünfte 1868 sind 2266 gut dokumentierte Silberschmiede in Augsburg als Meister tätig Dennoch gibt es immer noch ein paar "weiße Flecken".
Über dreieinhalb Jahrhunderte von 1529 bis 1734 gibt es viele Varianten mit manchmal nur minimalen Unterschieden des, dem Stadtwappen nachgebildeten, Pinienzapfens, dem Pyr. Für Helmut Seling, wie er selber schreibt, eine besonders schwierige Aufgabe diese in chronologisch zeitliche Abläufe zu ordnen, für den Händler und Sammler sind diese oft verschlagenen oder verputzen Punzen aber ebenso schwer zu lesen und zuzuordnen. Ab dem Zeitraum 1734-35 wird der Pyr erstmals mit einem Buchstaben des Alphabetes kombiniert, was die Erkennung und Zuordnung nun wesentlich erleichtert.
Auch das Thema Augsburger Marken hier ausführlich zu behandeln, würde den Rahmen dieses Magazinartikels "Leben mit Silber" sprengen, deshalb gibt es, für alle die es genauer wissen möchten, einen zusätzlichen Artikel unter der Rubrik "Meister, Marken, Techniken": Augsburger Silbermarken: Beschauzeichen "Pyr und Meistermarken.
Literaturempfehlungen:
"Kleine Geschichte der Goldschmiedestadt Augsburg"
vom Historiker Dr. Wolfgang Wallenta, eine kurze, aber
höchst informative, sowie amüsante Reise durch die
Jahrhunderte der Augsburger Goldschmiedekunst.
Erhältlich im Museumshop des Maximilian Museums
in Augsburg, über den Buchhandel oder direkt beim
Holzheu-Verlag, Mering. ISBN 978-3-938330-19-7
"Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529 -1868"
von Helmut Seling. Band I bis III erschienen 1980, das
Supplement erschienen 1994, der Band "Die Gold-und
Silberschmiede 1529 - 1868" erschienen 2007 im Beck Verlag,
antiquarisch zu kaufen unter dem Online Portal ZVAB.com
Umfangreiche Fachliteratur für Sammler: Die Geschichte des
Augsburger Goldschmiedehandwerkes, Bildtafeln vieler
bedeutender Werke, sowie Meisterverzeichnissen mit
entsprechenden Lebensdaten und Werken.
Der reichste Mann der Weltgeschichte", Leben und Werk
des Jakob Fugger von Greg Steinmetzt, erhältlich
z.B über amazon. Wie Jakob Fugger, die Geschichte
und Geschicke der Stadt Augsburg beherrschte, spannend,
wenn auch "mit wenig Siber".