Meister, Marken, Techniken
... die Historie, die Firmen, die Marken, die Objekte
Hanauer Silber ist ein Begriff in der Welt der Silberkenner – und Liebhaber. Die Tradition des Edelmetallhandwerkes reicht bis in das 16. Jahrhundert zurück und prägte nachhaltig das Kultur- und Wirtschaftsleben der Stadt. Den größten Aufschwung, die Blütezeit des Silberhandwerkes jedoch erlebte Hanau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich zahlreiche Silberfirmen auf die Produktion von Objekten in historischen Stilen – im antiken Genre, wie Hanau es selbst formuliert – spezialisierten. Hanau belieferte in dieser Zeit die Höfe Europas, von London bis Peterburg, die kunst- und oft auch prunkvollen Objekte wurden in die ganze Welt exportiert, die Firmen mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft. Silber aus Hanau wurde berühmt. Manchmal gesellt sich das Wort „berüchtigt“ hinzu, was nicht an den Objekten selbst liegt, sondern der Verwirrung und falschen Zuschreibung durch die einzigartigen Fantasiemarken, die das Hanauer Silber teils „schmücken“, geschuldet sind. So befinden sich bis heute perfekt gefertigte Imitationen aus frühen Epochen in bedeutenden Renaissance- und Barocksammlungen, und auch die Auktionen bieten immer wieder Historismus-Silber als Stücke aus dem 17. und 18. Jahrhundert an, Privatanbieter und Flohmarkthändler in der Regel sowieso. Rein äußerlich alt von „neu“ zu unterscheiden ist manchmal schwer, da die meisten Hanauer Objekte von hervorragender Qualität und meisterlich gefertigt sind, eine Mischung aus der Verwendung neuer, technischer Errungenschaften und großem, handwerklichem Können. Die Marken im alten Stil als Pseudomarken der Hanauer Historismus-Stücke zu erkennen, ist, wenn man genau hinsieht, hingegen nicht so schwer. Dieser Artikel soll dabei helfen, Silber und Marken aus Hanau besser einzuordnen. (Lesen Sie dazu auch im Magazin „Original, Kopie, Fälschung“)
Die Geschichte:
Stadtansicht von Hanau - Althanau und Neustadt
Hanau, die Residenz der Grafen von Hanau, erhält 1303 Stadtrecht. Graf Philipp Ludwig II., der in seiner Grafschaft das reformierte Bekenntnis einführte, gründete 1597 die Hanauer Neustadt, um die vor der Inquisition geflüchteten, reformierten Wallonen und Niederländer aufzunehmen. 1833 wird Alt – und Neustadt vereinigt. Gemäß des Reichsgesetzes gilt seit 1548 die Stempelpflicht für Silber- und Goldarbeiten. Aus dieser frühen Zeit gibt es kaum Aufzeichnungen über die Hanauer Silberschmiede und Ihre Arbeiten. Das älteste, bekannte Hanauer Silberwerk ist ein Kelch von Jakob de Gorge an die Windecker Kirchengemeinde aus dem Jahr 1596.
Gemessen an Ihren mächtigen und berühmten Zunftgenossen aus Augsburg, Nürnberg oder Frankfurt führten die Hanauer Silberschmiede ein bescheidenes Dasein. Ihre Anzahl war bis zum 19. Jahrhundert gering, die Werkstätten klein, und von ihren Werken blieben nach Kriegen und Notzeiten (Einschmelzungen) kaum etwas übrig. Im Jahr 1610 erließ der Rat der Stadt eine Goldschmiedeverordnung, was zur Gründung der Zunft führte, die Regeln und Vorschriften für Meister, Gesellen, Lehrlinge, Meisterarbeiten, Feingehalte, Stempel, etc. vorgab. Als Meisterstück mussten die Silberschmiede ein Buckel- Akelei oder Traubenpokal vorlegen. Ein imposantes Schauobjekt, das zur Tradition der Hanauer Silberkunst werden sollte und nach alter Handwerkskunst in historischem Stil von den Hanauer Silberfirmen bis ins 20. Jahrhundert gefertigt wurde. Ein Akeleipokal von Johannes Rappols, ein in Augsburg ausgebildeter Meister, gefertigt 1621/25, der wohl ein Geschenk an die Stadt Hanau war, wurde 1880 mit etlichen Wertpapieren im Stadtarchiv gefunden und im gleichen Jahr vom Stadtrat für 20.600 Mark nach Frankfurt verkauft. Beim Käufer handelte es sich um den Baron Karl von Rothschild, denn der Pokal tauchte in der Versteigerung der Rothschild´schen Sammlung 1911 auf – und ist seitdem verschollen. Dieser sogenannte Hanauer Ratsbecher wurde vor dem Verkauf von dem Silberschmied August Schleißner kopiert und befindet sich heute im Hanauer Historischen Museum.
Die Kopie des Hanauer Ratspokal von August Schleißner im Historischen Museum Hanau
Die Hanauer Verordnung trennte - recht ungewöhnlich für dieses Gewerbe - strikt Goldschmiede von Silberschmieden, Draht- und Filigranarbeitern. Keiner durfte das Handwerk des anderen ausüben, sofern er keine entsprechende Probearbeit vorgelegt hatte. Die Hanauer Beschauzeichen waren dem Wappenschild der Grafen von Hanau nachgebildet, einem Sparrenschild, das von Zeit zu Zeit abgewandelt wurde.
Der 30jährige Krieg beendete das Wirken des Edelmetallgewerbes, viele Menschen flohen oder starben durch Krieg, Pest und Hungersnot, 1635 war kein Silberschmied mehr in der Stadt gemeldet. Erst 23 Jahre später tauchen in Hanau wieder 3 Silberschmiede auf. Da auch um 1700 die Zunft nur aus 5 bis 7 Mitgliedern bestand, wurde 1719 die Zunft zwar nicht förmlich aufgelöst, hatte aber als umbenannte „Gold- und Silbergesellschaft“ nur noch privaten Charakter ohne Rechtskraft . Ohne regelnde Institution kam es zu Streitigkeiten zwischen den Konkurrenten und zu Missbrauch des vorgeschriebenen Silberfeingehaltes. Zum Teil fertigten die Silberschmiede ihre eigenen Silberstempel an und punzierten nach Willkür. Als die Beschwerden überhandnahmen, erließ die Regierung am 21. November 1735 eine neue Gold-und Silberschmiedeverordnung. Der Silberfeingehalt wurde auf 12 Lot festgesetzt. Friedrich Wilhelm Holzapfel, geboren 1750, war Gold- und Silberarbeiter und gründete eine der ersten Silbermanufakturen in Hanau. 1794 wurde er als Silberwardein (Beschaumeister) verpflichtet. Sein Sohn Johann Philipp übernahm die Silbermanufaktur und bewirkte 1833 ebenfalls in der Position als Silberwardein, die Erneuerung des Mindestfeingehaltes von 13 Lot. Nach seinem Tod wurde die Manufaktur geschlossen.
Als eigentlicher Erneuerer der Hanauer Silberschmiedekunst gilt jedoch der aus Augsburg stammende Silberschmied Johann Daniel Christian Schleißner. Seine Familie gehörte seit Generationen (1680) zu den bekannten Silberschmieden Augsburgs. Johann Daniel, geboren 1793, lernte das Silberhandwerk im elterlichen Betrieb. Auf seiner Wanderschaft kam er nach Hanau und blieb. Er wurde 1816 Bürger und gründete in der Neustadt eine kleine Manufaktur. Ganz der Tradition der Augsburger Handwerkskunst verpflichtet, begeisterten seine Entwürfe den Kurfürsten von Hessen, vom dem er den Auftrag für das Tafelsilber für Schloss Philippsruhe erhielt
Sein Sohn August, geboren 1825 absolvierte die Lehre im väterlichen Betrieb, studierte an der Zeichenakademie und erhielt in Paris eine Ausbildung zum Treiben und Ziselieren. 1848 schloss er sich dem Freikorps der Turner an und flüchtete, um der Verhaftung nach dem Badischen Aufstand zu entgehen, nach Amerika. 1861 kehrte er begnadigt zurück und übernahm mit seinem Bruder Louis die väterliche Fabrik. Er war es, der die Firma zu künstlerischer und wirtschaftlicher Blüte führte und Hanau zur bekannten Antiksilberstadt machte. In einer Zeit der zunehmenden industriellen Fertigung, spezialisierte er sich, auch anhand seiner vielschichtigen Ausbildung, auf handgearbeitetes Silber nach historischen Vorbildern. Das hatte großen Erfolg, Baron Rothschild gehörte zu den Stammkunden und seine im Renaissancestil gearbeiteten Silberobjekte wurden bei der Weltausstellung in London 1862 und der Münchner Kunstausstellung 1882 mit Preisen überhäuft. Für seine Arbeiten bei Hof, erhielt er den Titel „Hofsilberschmied des Landgrafen von Hessen“. Damit legte er den Grundstein für einen Industriezweig, der als Hanauer Antiksilberwarenfabrikation bis heute weltweiten Ruf genießt.
Nach 1880 wurden innerhalb weniger Jahre mehrere Silberwarenfabriken gegründet. Die Inhaber allesamt selber gut ausgebildete Silberschmiede, die trotz der vermehrten Industrialisierung in diesem Gewerbe, der Handarbeit treu blieben. Während sich anderenorts die Firmen auf maschinelle Fabrikation von bestimmten Artikeln konzentrierten, hier wurden nur Bestecke, dort nur Korpusware gefertigt, stellten die Hanauer Silberfirmen vom Tortenheber, über Tafelservice bis zur Jardiniere alles her. Einerseits verzichteten sie damit auf die Erleichterung maschineller Produktion, auf der anderen Seite mussten die „Hanauer“ ihr Silber nicht nach Gewicht zum festgelegten Grammpreis an Grossisten verkaufen, ein Preisdiktat, das die maschinelle Massenware mit sich brachte. In den Hanauer Silbermanufakturen arbeiteten auch keine ungelernten Tagelöhner, sondern hochqualifizierte Facharbeiter - Silberschmiede, Drücker, Polierer, Graviere und Ziseleure, etc. die gut bezahlt „ihrem“ Betrieb teils lebenslang treu blieben. Die Verbundenheit zum Betrieb basierte nicht zuletzt auf der langjährigen Schulung der Arbeiter. An der 1772 unter Erbprinz Wilhelm IX. von Hessen-Kassel gegründeten Staatliche Zeichenakademie wurden Kunstverstand und Formgefühl vermittelt, Ornamentik, und Stilkunde unterrichtet und im praktischen Unterricht das Zeichnen, Modellieren, Gravieren und Ziselieren erlernt. Geschult in historischen Objekten und deren Details, konnte jeder Silberschmied die Entwürfe in Silber umsetzten.
Vom Entwurf zum fertigen Silberobjekt, Konfektschale von Schleissner & Söhne
Die Modelle der Antiksilberwarenfabrikation unterlagen keinem Geschmackswandel, wie die modernen Silberwaren. So konnten die Hanauer Firmen immer wieder auf ihr großes Entwurfsarchiv zurückgreifen. Man verkaufte und exportierte an Einzelkunden und Juweliere oder zeigte seine Waren auf den großen Handelsmessen in Frankfurt und Leipzig. Auf den internationalen Ausstellungen in Paris, Turin, Wien und London, der Weltausstellung 1893 in Chicago, bekamen die Hanauer Firmen weltweite Beachtung und jede Menge Preise und Auszeichnungen. Um 1900 arbeiteten in Hanau 20 Silberfirmen mit 873 Beschäftigten.
Eine Hanauer Silberwerkstatt um 1930
Hanau setzt die Antikwarenfabrikation nach alter Tradition bis heute fort. Hie und da finden sich auch moderne Objekte im Sortiment, die Verwendung der historischen Modelle sind jedoch vorrangig, da nach wie vor gewünscht und sehr gefragt, in einer Zeit, in der die verschiedensten Geschmacksrichtungen nebeneinander und sogar miteinander existieren.
Die Marken:
Hanauer Stadt- und Beschauzeichen:
Wie schon erwähnt, wurde das Hanauer Beschauzeichen dem Wappenschild der Grafen von Hanau nachempfunden. Da Althanau und die 1597 gegründete Neustadt bis 1833 zwei getrennte Städte waren, enthielt das Beschauzeichen für Althanau die Buchstaben AH im Wappen, entsprechend NH für die Neustadt. Das Schild wurde im 19. Jahrhundert durch eine bekrönte 12 oder 13 ersetzt.
Rechts das Wappen der Grafen von Hanau mit Winkelsparren, links vier Hanauer Beschauzeichen
des 17. und 18. Jahrhunderts mit dem Feingehalt 12 Lot.
Schon seit dem 13. Jahrhundert wurden in Europa Objekte aus Edelmetall mit Marken zur Angabe des Feingehaltes und der Herkunft versehen. Das Punzieren, also das Schlagen der entsprechenden Stempel, war von den Einflüssen und unterschiedlichen Regeln der Zünfte, sowie der Gewerbeentwicklung abhängig. Mit der Industrialisierung begann mancherorts ein Niedergang des Stempelwesens, das in Deutschland erst wieder mit einem neuen Gesetz 1888 verbindlich geregelt wurde. Städte mit mächtigen Zünften, wie zum Beispiel Augsburg und Nürnberg, setzten streng die vorgegebenen Regeln durch. In Hanau, wo die Zunft wenig Einfluss hatte oder auch zeitweise ganz fehlte, kam es zu einer gewissen „Verwilderung“ des Stempelwesens. Die Hanauer Stadtmarke wurde nur bis Ende des 18. Jahrhundert von einem Beschaumeister geschlagen, ab 1874 gibt es gar keine Stadtmarke mehr, da ab dieser Zeit die Schutzmarke des Geschäfts verwendet werden musste, was automatisch die Stadt anzeigte. Jahresstempel zur Anzeige der Herstellungszeit, wie wir sie perfekt vom englischen Markenwesen kennen, aber auch in Augsburg und vielen anderen deutschen Städten angewandt wurden, gab es in Hanau nicht. Lediglich später interne Codenummern -oder Buchstaben, die einige Hanauer Firmen benutzen, ließen, hätte man Zugang zu den Musterbüchern, Rückschlüsse auf die genaue Entstehungszeit zu. So bleibt es meist bei der Zuschreibung um ..., was plus, minus einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren umfassen kann.
Meister- und Firmenzeichen:
Da bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Hanau von Fabrikanten die Rede ist, ist es richtiger die Meisterzeichen, die ein Silberschmied verwendete, als Firmenzeichen zu bezeichnen. Firmenzeichen sind eindeutige Signets einer Herstellerfirma, Manufaktur oder Fabrik.
(Von links) Firmenzeichen der Hanauer Silbermanufakturen: Die Sichel für J.D. Schleissner & Söhne, das gotisch "N" im Wappenschild
für Ludwig Neresheimer, bekröntes Herz mit GR für die Firma Georg Roth, W.S.H. im Herz für Weinranck & Schmidt,
Mann mit zwei Kindern für die Firma Karl Söhnlein & Söhne, St. S H mit Lilie und Stern im Vierpass für die Firma Storck & Sinsheimer,
G H G im Wappen mit Schwan das Firmenzeichen ab 1922 für Vereinigte Silberwarenfabriken
Wolf & Knell und Gebrüder Glaser, bekröntes R im Wappenschild für Friedrich Reusswig, JLS im Legat für J. L. Schlingloff,
J K mit Schwan das Firmenzeichen für J. Kurz & Co., die Rose mit G G für die Gebründer Gutgesell
Stempel von Fremdfirmen:
Neben dem Zeichen des Herstellers, kommen Stempel von Silberhändlern und Juwelieren in Betracht. Schon bei der Anfertigung eines bestellten Stückes, wurden diese auf Wunsch eingeschlagen, so zum Beispiel etliche Teile für Tiffany New York, hier fehlte dann bewusst der eigentliche Herstellerstempel. Beide Marken- Hersteller und Händler, können, müssen aber nicht nebeneinander vorkommen. Als Beispiel, die Sturzbecher gefertigt von Neresheimer, Filmenstempel plus Händlerstempel von Otto Arthur aus Köln, der mit Neresheimer ab 1922 in enger Geschäftsverbindung stand. Daneben ein Becher in Renaissancestil, der nur den Stempel von Otto Arthur aufweist, wohl aber ebenfalls bei Neresheimer gearbeitet wurde.
Antike Stempel & Fantasiemarken:
Stempelmarken, die historischen Marken - Stadtmarken, Meisterzeichen, Jahresstemel aus vergangenen Epochen sehr ähneln. Die Verwendung von antiken Stempeln auf Objekten einer Antiksilberwarenproduktion liegt durchaus nahe, wurde aber nicht durchgängig praktiziert. Gründe für die Stempel waren die Stücke neben seiner historisierenden Form auch mit historisierenden Marken zu „vervollständigen", oder aber ein höheres Alter des Stückes vorzutäuschen. Die Hanauer Manufakturen haben zahlreiche dieser Marken und ebenso viele Markenkombinationen verwendet. Auch finden wir auf dem Historismussilber Tremolierstiche, Probeentnahmen des Beschaumeisters zur Prüfung des Silberfeingehaltes, die es seit 1868/69 nicht mehr gab, da, seit dem neuen Stempelgesetz, jeder Hersteller durch das Schlagen eines Feingehaltsstempel selbst für die Richtigkeit der Legierung haftete. Fantasiestempel sind solche Marken, die weder Feingehalt noch ein eindeutiges Firmenzeichen erkennen lassen. Sie wurden in Hanau häufig verwendet, oft mehrere hintereinander. Sie orientieren sich an historischen Marken, sind aber auch reine Neu- sprich Fantasieschöpfungen.
(Von links) Ahnlich, aber nie korrekt: Augsburger Beschauzeichen, der Pyr 17. Jahrhundert, der Pyr mit Alphabet 18. Jahrhundert,
bekröntes P Paris 1784, bekrönte Lilie Paris 1717-1722, französische Meistermarke, bekröntes A Straßburg 1754,
Fantasiehahn in Anlehnung an alte französische Feingehaltsmarken um 1800, bekröntes H die Stadt Le Mans 1723,
der steigende Löwe im Wappenschild ähnlich der Stadtmarke von Darmstadt um 1700, das Schiff ähnelt
einer schweidschen Stadtmarke aus dem 18. Jahrhundert und der bekrönte Tierkopf ist der englische Leopardenkopf,
die Stadtmarke von London um 1600
Objekte ohne Marken:
Davon gibt es in Hanau viele Beispiele. Diese Arbeiten können eigentlich nur einer bestimmten Firma zugewiesen werden, wenn sich eine entsprechende Entwurfszeichnung in den Musterbüchern wiederfindet. Dafür gibt es einige berühmte Beispiele. Manche Objekte, die nur mit einem Feingehaltsstempel versehen waren, können aber, auf Grund des Stiles und der Machart, mit großer Wahrscheinlichkeit den Hanauer Silberfirmen zugeordnet werden.
Woran erkennt man denn nun diese Hanauer Pseudomarken? Die einzelnen Marken mögen an alte Stempel aus dem 17. und 18. Jahrhundert erinnern. Die Zusammenstellung der Markenkombinationen aber ist völlig sinnfrei, hier passt so gar nichts zusammen.
Die Markenreihe links von Neresheimer zeigt das gotische N, einen steigenden Löwen, eine Stadtmarke ähnlich der von Darmstadt um 1700, das Augsburger Beschauzeichen, den Pyr von 1731-35 (Das Augsburger Beschauzeichen taucht in allen Variationen immer wieder auf) und einen Dreimaster, wie man ihn ähnlich als Stadtmarke der schwedischen Stadt Västervik kennt. Was für ein „Kuddelmuddel“
Auch das üppige Vorhandensein von Kronen auf Buchstaben, Symbolen und Lilien, hier eine Markenreihe von Georg Roth, sind ein wichtiger Hinweis, dass es sich hier um Hanauer Marken aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts handelt.
Wir verdanken es dem Kunsthistoriker Dr. Wolfgang Scheffler, der, neben vielen anderen Städten, sich akribisch der Forschung über das Hanauer Silbers widmete und in seinem 1976 erschienenen Fachbuch „Goldschmiede Hessens“ Daten-Werke-Zeichen, neben den frühen Meisterzeichen, die Firmen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dokumentierte, Licht ins "dunkle Mysterium "der Fantasiemarken brachte Mit Hilfe von Bilder der Werkzeichnungen, Musterbücher, Verkaufskataloge und Fotoalben der Firmen, die mit den originalen Silberobjekten abgeglichen wurden, konnte er viele Fantasiemarken den jeweiligen Silberfirmen zuordnen.
Bis ins letzte Detail sind vor allen die Markenkombinationen jedoch nicht erforscht. Das praktizierte Crossover-Stempeln, bei dem eine Pseudomarke sowohl bei der einen, wie der anderen Firma auftaucht, macht die Sache nicht einfacher. Zudem gibt es noch unbekannte Markenkombinationen. Das es sich um Pseudomarken der Stadt Hanau handelt, ist aber unbestritten.
Es würde den Rahmen dieses Magazinartikels sprengen, wollte ich sämtliche Firmen und alle zugeschriebenen Markenkombinationen aufzeigen. Ein paar sollen es dennoch sein, um Ihnen ein Gefühl für diese sehr speziellen Marken zu geben. Man muss auch nicht alle Marken und damit alle Firmen kennen, wichtig ist nur zu erkennen, was Originale aus früheren Epochen sind und was ein Stück aus dem Historismus oder auch später ist, das antikisierende Marken trägt. Als ich kürzlich eine sehr schöne Teedose - Sie finden Sie jetzt bei „neu eingestellt“ – als "Teedose, deutsch um 1650", angeboten bekam, genügte ein kurzer Blick auf die Marken, um es als ein Hanauer Objekt zu identifizieren. Mal ganz abgesehen davon, dass es in Deutschland in der Mitte des 17. Jahrhundert keine Teedosen gab. Die ersten deutschen Teekannen aus Silber gab es um 1700, Teeaccessoires, wie Zuckerdosen oder Teedosen kamen erst viel später dazu. Wer in der Silbersuite den Artikel „Teekannen im Wandel der Zeit“ gelesen hat, wüsste das. Wunderbare Handarbeit, schrieb der Anbieter dazu. Das stimmt! Denn die meisten Firmen arbeiteten nach wie vor ihre Objekte in Handarbeit, teils sogar mit historischen Werkzeugen, bis zum heutigen Tag, Dennoch, so dekorativ, kunst- und qualitätsvoll ein historisierendes Silberstück auch sein kann, es muss als solches gekennzeichnet sein und nicht zu einem wesentlich höheren Preis als antik angeboten und verkauft werden.
Vielfach sind in den Markenreihen die Firmenzeichen integriert, aber eben nicht immer. Auch der Stempel 13 für den Feingehalt 13 Lot, zum Beispiel in Verbindung mit dem Firmenzeichen von Neresheimer, ist eine Antikmarke, da bereits um 1868 und verbindlich im Jahr 1888 die Tausendstel-Stempelung mit dem Mindestfeingehalt 800/1000 eingeführt wurden. Ludwig Neresheimer gründete 1890 seine Firma, also nach der Abschaffung aller Lotbezeichnungen.
Die Objekte:
In der Zeit des Historismus und darüber hinaus haben ja fast alle Silbermanufakturen Objekte im Stil früherer Epochen produziert. So hat zum Beispiel Bruckmann seine eigenen Entwürfe aus dem Klassizismus um 1900 erneut aufgelegt und Koch & Bergfeld hatte Tafelsilber im Renaissancestil im Angebot. Dennoch, es gibt typische Hanauer Silberobjekte, die vor allem großes, handwerkliches Können voraussetzen, über das die wichtigen Hanauer Silbermanufakturen im Speziellen verfügten.
Pokale:
Neben den berühmten Trauben-und Akeleipokalen, gesellen sich höfische Kokosnusspokale, sowie Prunkpokale mit Straußeneiern und Nautilusmuscheln, wie sie bereits im Mittelalter begehrte Sammelobjekte waren. Die Kokosnuss, die indische Nuss oder Meernuss, wie sie damals genannt wurde, war bis ins 17. Jahrhundert selten, aber besonders beliebt. Ihr wurden heilende, magische und giftanzeigende Eigenschafen zugeschrieben, ein Grund, warum sie oft zu kostbaren Trinkgefäßen verarbeitet wurde. So wie der im Warenangebot zu sehende Kokosnusspokal, der neben der exotischen Nuss, als Gefäß gearbeitet, eine weitere „Spezialität“ aus Hanau zeigt: Tierfiguren. Hier ist es ein Falke mit abnehmbarem Kopf und beweglichen Flügeln, als Brustschild ein vergoldeter Putto.
Kokosnusspokal als Falke, Gebrüdern Gutgesell, Entwurf für einen Nautiluspokal von August Offterdinger,
Akeleipokal mit falschen Nürnberger Marken, Hanau um 1890, Birnenpokal mit "Nürnberger Beschauzeichen", Hanau um 1900
Sturzbecher:
Viel Liebe zum Detail und ausgefeilte Handwerkskunst finden wir bei den Sturzbechern, Hochzeits-oder Jagdbechern, die ihre Vorbilder vor allem in Süddeutschland, England und den Niederlanden des 17. und 18. Jahrhunderts finden.
Paar Sturzbecher „Hähne“, ein Brautbecher, Jagdbecher mit Rehbockkopf und ein
besonders aufwändiger Windmühlenbecher, alle von der Firma Neresheimer
Tierobjekte:
Als Pokal oder Becher, als Schalen, Tafelaufsätze, Scherzgefäße, dekorative Skulpturen oder originelle Streuer - aus Hanau kommen die schönsten Tierfiguren. Objekte in Tiergestalt, ob groß oder klein, gehörten auch zu den Exportschlagern Hanauer Silberfirma. Die wichtigen Importeure, zum Beispiel nach England sind namentlich bekannt und finden als "Meisterzeichen" einen Platz auf den englischen Markenreihen mit dem dazugehörigen f für "forein", sprich "ausländischer Import".
Das große Eichkätzchen, ein sogenanntes Scherzgefäß von Wilhelm Weinranck, das Schwanenpaar als Schalen
oder Tischdekoration von Schleissner & Söhne, der Eisvogel als Streuer von Neresheimer
Rokokomotive und Putti:
Dosen, Körbe, Kannen, Schalen – auf Hanauer Objekten finden wir vielfach fein ziselierte Motive im Rokokostil, galante Szenen im Stil des französischen Malers Jean-Antoine Watteau. (siehe Silberlexikon) , spielende Kinden, Allegorien oder Alttagsszenen, wie sie in den Niederlanden gemacht wurden. Auch Putti, die sich schon im 17. und 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten, sind typische Dekorelemente auf Hanauer Silber.
Paare beim Tanz, Motiv für die große Deckeldose der Firma Karl Söhnlein & Söhne,
ein Korb und eine Teekanne mit der Darstellung galanter Liebespärchen von der Firma Jean L. Schlingloff
Entwurf für eine Vase von August Offterdinger, große Dose mit Puttireigen, Firma Weinranck & Schmidt,
Ausschnitt einer großen Schale von Schleissner & Söhne.
Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass es bei der Vielzahl der Firmen, die sich zwischen 1900 und 1930 in Hanau ansiedelten und auf den erfolgreichen Historismus-Zug aufspringen wollten, es etliche Firmen gab, die nicht mehr handwerklich produzierten, sondern ganz im Gegenteil, maschinelle Massenware herstellten. Mit aufmerksamen Blick, lassen sich diese Dosen, Körbe, Flakons und Andenkenlöffel, etc. von der Qualitätsware herausfiltern. Die Dekorationen sind nicht getrieben oder ziseliert, sondern maschinell gedrückt und gestanzt, die Gesichter der Putti und anderen Figuren sind grob und unförmig, die Gesichter nie ausgestaltet, Scharniere an Dosen und Kannen werden offen und schlampig zusammengefügt, um nur ein paar Merkmale zu nennen. Aber auch diese Objekte tragen in der Regel historisierende Pseudomarken. Und gerade hier will man uns oft hinters Licht führen.
Fazit:
Das „Antiksilber“, das Tafel- und Schausilber aus Hanau des 19. und 20. Jahrhundert ist, wenn es von einer renommierten Firma gefertigt wurde, in der Regel von hervorragender Qualität, meist handgearbeitet oder mit handwerklicher Ausarbeitung. Die Stücke sind nach historischen Vorbildern gefertigt oder historisierende Neuschöpfungen, bei denen die Elemente der Epochen auch mal fantasievoll gemischt werden. Die Objekte tragen Firmenmarken, sehr oft mit fantasievollen Antikmarken gemischt - diese auch mal ohne Firmenzeichen, was zu Falschzuschreibungen führen kann. Ein seriöser Silberhändler kennt die Marken oder weiß, wo er sie findet und wird korrekt datieren und dokumentieren. Wer Freude an originellem und wertigem Silber hat, die dekorativen bis punktvollen Stilmerkmalen von Renaissance bis Klassizimus schätzt und nicht zu den sammelnden Puristen gehören, die für einen Renaissancebecher - wie beim Auktionshaus Lemperts neulich versteigert - 45.000,- Euro investieren möchten oder können, für den sind diese Silberstücke goldrichtig.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Magazinartikel zur Aufklärung und Erkennung der Hanauer Marken- und Pseudomarken beitragen und Ihnen ein Werkzeug an die Hand stellen, das sie vor Missbrauch schützt.